Media4Us » Wohnen https://www.media4us.de/wp Ein weiterer WordPress-Blog Mon, 23 Feb 2015 14:22:24 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=4.2.2 Flucht ins Lager https://www.media4us.de/wp/2013/02/26/flucht-ins-lager/ https://www.media4us.de/wp/2013/02/26/flucht-ins-lager/#comments Tue, 26 Feb 2013 15:40:06 +0000 https://www.media4us.de/wp/?p=1282 Nach ihrer Ankunft in Deutschland finden sich viele Flüchtlinge in menschenunwürdigen Umständen wieder. Deprimierende Wohnbedingungen in Flüchtlingslagern, tragen zum Gefühl der Perspektivlosigkeit bei. Wie ist das in Einklang zu bringen mit der verfassungsrechtlich garantierten Einhaltung von Menschenrechten und Menschenwürde? Ein Beitrag von Elena Pupejko.]]>

von Elena Pupejko

„Das Bild habe ich noch immer vor Augen. Alles um mich herum ist so dreckig. Ich muss einen Teller nehmen und um Essen bitten. Ich schäme mich so. Pro Woche haben wir sechs Euro Taschengeld bekommen“, erinnert sich Wedyan S., die als Flüchtling 2006 aus dem Irak nach Deutschland kam. Nachdem ihr Bruder entführt wurde und eine Lösegeldforderung von 100.000 Dollar eintraf, ging ihre Mutter zur Polizei. Einige Tage später wurde auch Wedyan bedroht. Das war ein Wendepunkt in ihrem Leben. Krieg, Bedrohung, Angst, Gefahr und endlich – Flucht.

Flucht in einen Staat, der die Menschenrechte und Menschenwürde achtet. Nach der Ankunft in Deutschland finden sich Flüchtlinge allerdings oft in menschenunwürdigen Umständen wieder. Deprimierende Wohnbedingungen in den Flüchtlingslagern, Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften tragen oft zum Gefühl der Perspektivlosigkeit bei. Dreckige, überfüllte Wohnheime sind vielen Asylbewerbern allzu sehr bekannt. Oft kommen die Flüchtlinge traumatisiert aus ihrem Heimatland an. Zusätzlich müssen sie neue Kraft schöpfen, um mit Enge, Isolation und dem Verlust von Privatsphäre in den Asylheimen fertig zu werden.

© Elena Pupejko

Das Recht auf Asyl wird durch den Artikel 16 der deutschen Verfassung garantiert, der  Grundbedarf an Ernährung und Unterkunft wird durch das Asylbewerberleistungsgesetz gesichert. Oft werden Asylsuchende aber behandelt, als seien sie Verbrecher. Ein Blick in das Wohnheim für Flüchtlinge genügt, um zu verstehen: Sie werden als Menschen zweiter Klasse wahrgenommen, die froh sein müssen, dass sie nicht auf der Straße wohnen.

Das Asylheim in Konstanz ist schon lange zu einer Metapher in der Stadt geworden. Viele kennen es als den Ort, den man so schnell wie möglich verlassen möchte. An der Wand hängt eine Anweisung, was man gegen Kakerlaken tun soll. Kinder spielen mit einem Ball auf dem schmutzigen Boden im Flur. Ihre lauten Stimmen hallen durch das graue vierstöckige Gebäude. In ihren Zimmern ist es ihnen zu eng, da vier bis fünf Personen zusammen in einem Zimmer untergebracht sind. Sechs Quadratmeter sind für eine Person vorgesehen. Es stehen Stockbetten in den Zimmern, damit man etwas Platz zum Bewegen hat. Zwei Duschen müssen für etwa 50 Leute reichen. Die Gemeinschaftsküche ist voll, sie teilen sich ebenfalls rund 50 Menschen. Die Fenster sind auf, gegen den schlechten Geruch. Doch Dreck und Schmutz bleiben. Hier werden viele Sprachen gesprochen und es wird auch viel geraucht. Die Bewohner möchten raus, aber sie können nicht. Sie müssen warten, bis ihre Aufenthaltsgenehmigung regelt ist.

Wahid aus Afghanistan wartet schon fast drei Jahre. Wegen der Residenzpflicht darf er sich nicht weiter als 35 Kilometer von Konstanz entfernen. Bis er als Asylbewerber anerkannt wird, darf er das Wohnheim nicht verlassen. Einige Bewohner warten mittlerweile schon sechs Jahre auf ihre Unterlagen. Kirsa M. aus Syrien freut sich, dass seine Aufenthaltsgenehmigung nach zweieinhalb Jahren endlich kam. Jetzt muss er raus aus dem Wohnheim, um Platz für die anderen Flüchtlinge zu machen. Raus möchte er auch gerne, doch Kirsa macht sich Sorgen um die Wohnungssuche. Der Wohnplatz in Konstanz ist knapp und überteuert. Eine Studentenstadt, von Touristen beliebt und an der Schweizer Grenze – ein Alptraum für Flüchtlinge ohne festes Einkommen, die auf der Suche nach einer Wohnung sind. Die Chance, dass Vermieter einen Asylanten unter 50 Bewerber bevorzugen, ist gleich null. Warum Flüchtlinge vor dem Hintergrund der tatastrophalen Wohnungssituation überhaupt nach Konstanz verwiesen werden, versteht keiner.

© Elena Pupejko

Die Wohnumstände von Flüchtlingen sorgen bei Menschenrechtlern seit langem für Diskussionen. Der Bayerische Flüchtlingsrat spricht sich gegen Asyllager und Gemeinschaftsunterkünfte aus. In Bayern gelte bis jetzt eine strenge Lagerpflicht für Flüchtlinge. Laut der Bayerischen Asyldurchführungsverordnung soll die Unterbringung von Flüchtlingen in Sammellagern „die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern“. Der Flüchtlingsrat kritisiert die Bundes- und Landesregierung dafür, dass sie gezielt Perspektivlosigkeit für Flüchtlinge schaffen  und sie mit der unmenschlichen Behandlung zur Ausreise zwingen würden. Der Flüchtlingsrat  hält die Lagerpflicht für menschenunwürdig  und fordert die Abschaffung der Gemeinschaftsunterkünfte. Es solle für Menschen möglich sein, in privaten Wohnungen zu wohnen.

Brigitte Fataj von der Asyl- und Flüchtlingsberatung in Nürnberg hält diese Forderung für unrealistisch. „Wer wird den Flüchtlingen eine Wohnung vermieten wollen? Wenn sie dem Vermieter eine Duldung zeigen, die drei Monate gültig ist,  haben sie keine Chancen“, meint die Beraterin. Wedyan S. kennt die Herausforderung, als Flüchtling eine Wohnung in Nürnberg zu suchen. Monatelang konnte sie nichts finden. „Ich war schon hochschwanger. Wir haben nur Absagen bekommen. Mein Mann hatte Arbeit, aber viel Geld hatten wir nicht. Dem Makler mussten wir 1.000 Euro für die Vermittlung zahlen“, sagt Wedyan. Dabei erinnert sie sich an das große Haus, in dem sie mit ihrer Familie im Irak wohnte und das sie nie wieder sehen wird. So, wie sie auch ihren jüngeren Bruder wahrscheinlich nie wieder sehen wird.

 

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WG statt Heim https://www.media4us.de/wp/2012/07/02/wg-statt-heim/ https://www.media4us.de/wp/2012/07/02/wg-statt-heim/#comments Mon, 02 Jul 2012 13:54:27 +0000 https://www.media4us.de/wp/?p=500 In Köln etablierte das Kölner Immobilienunternehmen GAG gemeinsam mit Partnern ein neues Wohnkonzept für Demenzkranke. Die Senioren-WG "Nascha kwartira" für russischsprachige Betagte funktioniert ohne feste Regeln, dafür mit individueller Betreuung und Mitspracherecht der Angehörigen. Wie das geht, davon berichtet Matilda Jordanova-Duda. ]]>

Russischsprachige Demenzkranke teilen sich eine Wohnung. Ein Experiment macht Schule

Von Matilda Jordanova-Duda

Es riecht nach gebratenen Zwiebeln, im Fernsehen läuft ein sowjetischer Kriegsfilm. Zwei alte Frauen sitzen am langen Holztisch, schauen mit einem Auge hin und unterhalten sich über irgendwas. Ein ausgeblichener orangefarbener Plüschtiger liegt daneben. Leonid Torgovitski streicht der einen im Vorbeigehen über den Rücken: Es ist seine Schwiegermutter, die seit 5 Jahren in dieser WG für russischsprachige Demenzkranke lebt. Ein Mann, schick herausgeputzt in hellblauem Hemd und dunkelblauer Hose, Hörgerät hinterm Ohr, trägt 4 pralle Mülltüten aus der Küche und stellt sie neben die Tür. „Guten Tag, Prokofij, Sie haben eine Aufgabe?“, grüßt Torgovitski. „Und wer bist du?“, fragt der Alte. „Ich bin Lenja“.

Torgovitski, im richtigen Leben Software-Ingenieur, ist Mitgründer und Geschäftsführender Gesellschafter von „Nascha kwartira“ (Unsere Wohnung) GbR, der Demenz-WG. Und wie es dazu kam? Vor ca. 6 Jahren war seine Familie mit ihren Kräften und Nerven am Ende: Mit der Alzheimer-kranken Schwiegermutter ging es bergab. Sie verlor Portemonnaies und Personalausweise, aß nichts oder alle Vorräte auf einmal, schmiss Abfall aus dem Fenster. Auch der ambulante Pflegedienst war keine Lösung. „In der klassischen Pflege ist jede Leistung genauestens beschrieben“, sagt Torgovitski: „für das Waschen des linken Beins soundsoviel Sekunden“. Die Pfleger geraten dadurch unter Zeitdruck, die Patientin, die ihre Anweisungen nicht verstand, in Panik. Und es tat in der Seele weh mitzuerleben, wie die einstige Powerfrau, Leiterin eines Chemielabors, zusehends zu einem Häufchen Elend wurde.

Ein Altenheim kam für die Torgovitskis jedoch nicht in Frage: „Das ist voller Regularien, die uns an die Pionierlager unserer Kindheit erinnern“. Die Eltern nur zu bestimmten Zeiten besuchen, keinen Einfluss auf die Hausordnung haben – nein, danke. Da hörten sie von einem ganz neuen Konzept. Das größte Kölner Immobilienunternehmen GAG, der örtliche Pflegedienst der Diakonie und die Agentur für Wohnkonzepte warben für eine russischsprachige Senioren-WG. „Wir hatten anfangs zwar mehr Fragen, als man uns Antworten geben konnte“, erinnert sich Torgovitski. „Aber letztendlich hat uns bestochen, dass wir bei dieser Konstruktion die Oberhand haben“. Bekannt ist sie aus dem Kindergartenbereich: Dort schließen sich Betroffene zu einer Elterninitiative zusammen, um die Betreuung ihrer Kinder zu organisieren. Nur dass es hier andersherum läuft.

Die Interessengemeinschaft mietete also eine geräumige neue Wohnung von der GAG und beauftragte den Pflegedienst der Diakonie mit der Betreuung rund um die Uhr. Speziell für „Nascha kwartira“ stellte dieser russischsprachiges Personal ein. Nachmittags kommen Mitarbeiter des Kultur- und Integrationszentrum Phönix, machen Gesellschaftsspiele mit den Alten, singen mit ihnen oder lesen ihnen vor. In der WG ist Platz für 8 Personen. Jeder hat sein eigenes Zimmer mit Terrasse, die Küche, Sanitäreinrichtungen, der Wohnraum und ein Garten sind gemeinsam.

In der Stadt ging ein Gerücht um, ein reicher Jude finanziere die Einrichtung und sorge nur für das Beste, schmunzelt Torgovitski. Aber es gibt keinen solchen reichen Juden. Da die jüdischen Kontingentflüchtlinge die Grundsicherung und die Aussiedler meist eine kleine Rente beziehen, kommt letztendlich die Kommune für die Kosten auf. Welche Möbel in den Zimmern stehen und was auf der Speisekarte, ob jetzt renoviert wird oder in ein paar Monaten: „Alles, was den Alltag ausmacht, bestimmen die Familienangehörigen“. Oder die amtlich bestellten Betreuer. Alle 3 Monate werden die anstehenden Dinge gemeinsam besprochen.

Feste Regeln gibt es nicht. „Es pendelt sich ein“, sagt Torgovitski, „dass alle zur ungefähr gleichen Zeit essen. Aber wenn einer Langschläfer ist, dann bekommt er das Frühstück eben später. Falls jemand für seine Mutter nur das Bananenjoghurt einer bestimmten Marke will, dann kauft das Personal dieses Produkt ein“. Die Verwandten bestimmen sogar mit, welcher Arzt gerufen wird und welche Arzneien genommen werden dürfen. Schließlich wissen sie am besten, ob ein bestimmtes Mittel die Mutter depressiv macht. Und gereizte Senioren mit Medikamenten ruhigstellen – das geht schon gar nicht.

Gegenwärtig leben 6 Betagte in der WG: Die Hälfte jüdischer Herkunft, die anderen sind Russen oder Aussiedler. Sie kommen aus verschiedenen Regionen der ehemaligen Sowjetunion, haben ein unterschiedliches Bildungsniveau, andere Sitten sowie je einen anderen Demenzgrad. Einige sind noch gut auf den Beinen und helfen im Haushalt mit, andere sind dazu nicht mehr in der Lage. Manche schaffen es noch, die Telefonnummer ihrer Töchter und Söhne anzuwählen. Andere können nicht mal den Hörer abheben.

Wie kommen diese unterschiedlichen Persönlichkeiten jeden Tag 24 Stunden miteinander aus? Besser als man denkt, meint Torgovitski. „Sie haben die Geduld, 30 Mal dieselbe Frage ausführlich zu beantworten, weil sie vergessen haben, sie schon mal beantwortet zu haben. Und, es ist kein Witz, sie freuen sich jedes Mal von Neuem, hier interessante Leute kennen zu lernen. Meine Schwiegermutter ist wirklich aufgeblüht“. Die bettlägerige Dame nebenan wurde auf der Tragbahre angeliefert. „Ich dachte damals, sie schafft es keine 2 Wochen, aber sie lebt und lebt“. Jetzt dürfte sie weit über 90 Jahre alt sein.

Lina, die ehemalige Ärztin aus St. Petersburg, hat sich mit dem Kriegsveteranen Prokofij angefreundet: „Gucken Sie, wie viele Freundinnen Prokofij hat!“ zeigt sie auf ihren Fernseher: „Sie wollen ihn alle beschützen!“ Wie alt sie ist, weiß sie nicht mehr, nur dass sie vor langer-langer Zeit in einer Poliklinik gearbeitet hat. „Hier ist es sehr schön, man kümmert sich um uns. Mal schauen, was sie nachmittags mit uns vorhaben“.

Da es unter den WG-Familien keine „praktizierenden“ Juden gebe, spielt die Religion keine Rolle im Alltag der Senioren. „Man würde vielleicht zu einem Feiertag gratulieren und eins darauf trinken – das war es auch“, sagt Torgovitski. Aber es gebe andererseits immer wieder einen latenten Antisemitismus bei den nicht-jüdischen Bewohnern, wie das in der Sowjetunion halt so war. „Dann gibt es Zank wie im Kindergarten“. Das Personal – ebenfalls teils jüdischer Herkunft –  soll in solchen Fällen beschwichtigen und ablenken. „Und wir prüfen genau, wer zu uns passt“, so Torgovitski. Über jeden Aufnahmeantrag müssen die GbR-Mitglieder abstimmen. Aufgenommen wird, wer mindestens 75 Prozent der Stimmen auf seiner Seite und eine Probewoche gut bestanden hat.

Und das obwohl es noch freie Plätze und leichte Verluste bei der Miete gibt. In den WGs für deutsche Senioren, die nach dem Muster von „Nascha kwartira“ seitdem entstanden sind, stehen die Bewerber Schlange. Hier jedoch nicht. Warum nicht, kann Torgovitski nur vermuten. „Unsere Konstruktion ist schwer zu vermitteln, außerdem verlangt es den Familien einiges Engagement ab. Andererseits halten es unsere Landsleute für selbstverständlich, die alten Eltern zuhause zu pflegen und fühlen sich dabei wie Helden. Aber es geht gar nicht! Wie kann man die Wohnung barrierefrei machen, überall für gutes Licht sorgen, für Anregung und Unterhaltung?“ Zweifler schickt er deshalb zu einem Gespräch mit Irina Moldaver. Die Schwiegermutter der Kölnerin lebte 3 Jahren in „Nascha kwartira“: „Diese drei Jahre“, glaubt sie, „wurden ihr dadurch geschenkt“.

erschienen in: Jüdische Allgemeine, 27. Oktober 2011 (43/11)

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