Media4Us » Familie https://www.media4us.de/wp Ein weiterer WordPress-Blog Mon, 23 Feb 2015 14:22:24 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=4.2.2 Migration und Gesundheit https://www.media4us.de/wp/2013/03/06/migration-und-gesundheit/ https://www.media4us.de/wp/2013/03/06/migration-und-gesundheit/#comments Wed, 06 Mar 2013 07:34:55 +0000 https://www.media4us.de/wp/?p=1315 Am 20. Februar 2013 fand in der Berliner Charité das Symposium „Viele Risiken – gutes Outcome? Geburtshilfe in der Einwanderungsgesellschaft“ statt. Hier wurde eine aktuelle Studie vorgestellt, die zeigt, dass vom pauschalen Bild der Migrantin Abstand genommen werden muss. Isabel Merchan hat die Ergebnisse für uns zusammengefasst.]]>

Ein Symposium untersucht das Thema Geburtshilfe in der Einwanderungs­ge­sell­schaft

von Isabel Merchan

Wie beeinflusst die Erfahrung der Migration Schwangerschaften und Geburten von Frauen? Mit dieser Frage haben sich die Gesundheitswissenschaften in den letzten Jahren international wiederholt beschäftigt. Dabei wurde in Studien festgestellt, dass Frauen mit Migrationshintergrund höheren Risiken in ihren Schwangerschaften ausgesetzt sind. Sie erleiden zum Beispiel öfter als Frauen ohne Migrationshintergrund Fehlgeburten oder müssen ihre Kinder per Kaiserschnitt zur Welt bringen. Die Gründe dafür sind sozialer Natur: Migrantinnen werden seltener von den an den Mittelschichten orientierten Informationen und Angeboten des Gesund­heits­sys­tems erreicht. Sie nehmen daher Leistungen wie Vorsorge­un­ter­suchungen oder Wochenbett-Hilfen weniger in Anspruch.

© media4us / foto: Anja-Lina Keilbach – Beitrag aus dem Fotowettbewerb “Zeig’s uns!“

In Deutschland ist die Datenlage zu diesem Thema veraltet und bruchstückhaft. Um sie zu aktualisieren, hat ein Team aus Berliner und Bielefelder Wissenschaftlern eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Studie durchgeführt und dafür 7.100 Schwangere befragt. Knapp 60 Prozent von ihnen hatten einen Migrationshintergrund, gut 40 Prozent nicht. Befragt wurden Frauen, die zur Entbindung in die Berliner Kliniken am Urban, in Neukölln und Virchow im Wedding gekommen waren. Ausgesucht wurden diese Kliniken, weil sie in Bezirken liegen, in denen besonders viele Migranten leben.

Mit der Studie sollte herausgefunden werden, ob es die beschriebenen Risiken für Schwangere mit Migra­tions­hin­tergrund hierzulande noch immer gibt. Die in neun Sprachen übersetzten Fragebögen konzentrierten sich auf Themen wie Schwangerenvorsorge, Stillabsicht und allgemeines Gesundheitsverhalten. Kenntnisse über die Versorgung und mögliche Komplikationen während der Geburt wurden aus den in den Kliniken erfassten Daten übernommen. Sechs Monate später wurde ein Teil der Frauen erneut befragt, diesmal zu Komplikationen im Wochenbett, der Betreuung durch eine Hebamme und der Nutzung von Früherkennungsuntersuchungen für ihre Babys.

Der größte Teil der befragten Migrantinnen war selbst eingewandert. Zwei etwas kleinere Gruppen umfassten Frauen der zweiten, hier geborenen Migrantengeneration bzw. hatten ein Elternteil, das im Ausland geboren war. Von den für die Studie befragten Frauen der ersten Generation hatten 21,9 Prozent einen deutschen Pass, bei den Frauen der zweiten Generation waren es 71 Prozent. Die Befragungsergebnisse wurden mit denen von Frauen deutscher Herkunft verglichen.

Die Studie zeigt deutlich die Vielfalt der Herkunftsländer der Befragten oder ihrer Eltern. Man müsse Abschied nehmen vom pauschalen Bild der Migrantin, betonte daher Professor Theda Borde bei der Präsentation der Studienergebnisse auf dem Symposium „Viele Risiken – gutes Outcome? Geburtshilfe in der Einwanderungsgesellschaft“ am 20. Februar 2013 in der Berliner Charité. Borde ist Rektorin der Alice Salomon Hochschule in Berlin und befasst sich seit langem mit dem Thema Migration und Gesundheit.

Bei der Nutzung von Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft gibt es der Studie zufolge keine großen Unterschiede mehr zwischen Frauen mit und ohne Migrationshintergrund, auch nicht bei der Anzahl der Termine. Eine Ausnahme bilden Frauen mit unsicherem Aufenthaltsstatus.

Leichte Unterschiede zeigen sich darin, dass Frauen deutscher Herkunft öfter als Frauen mit Migrationshintergrund Geburtsvorbereitungskurse besuchen und sich in der Zeit nach der Geburt eher von einer Hebamme betreuen lassen. Allerdings gleichen sich diese Unterschiede aus, je höher der „Akkulturationsgrad“ der Befragten ist. Dann wird die Nutzung von Angeboten rund um Schwangerschaft und Geburt immer ähnlicher. Mit Akkulturation meinen Migrationsforscher einen Prozess, in dem sich Migranten mit ihrer Umgebung vertraut machen und sich ihr anpassen oder sich die Umgebung ihnen anpasst. „Je länger jemand hier lebt, desto mehr Akkulturation gibt es“, so Borde. Im Gegensatz zu den 80er Jahren habe sich viel verändert.

Im Vergleich zu früheren Studien zeige die aktuelle Befragung sehr erfreuliche Ergebnisse, stellte Professor Oliver Razum von der Universität Bielefeld auf dem Symposium fest. Viele der in früheren Studien und in der Forschungsliteratur dargestellten erhöhten gesundheitlichen Risiken bei Schwangeren mit einem Migrationshintergrund hätten sich in der Studie nicht bestätigt. „Die Gesundheitsdienste in Berlin schaffen es, gleiche Geburtsvoraussetzungen zu schaffen“, sagte Razum. Es bestünden sprachliche Barrieren, doch würden Dolmetscher offenbar so eingesetzt, dass die Kommunikation funktioniere.

Trotz der positiven Resultate zeigt die Studie allerdings auch, dass es zwischen Migrantinnen und einheimischen Frauen auch nach Jahren der Einwanderung noch immer gravierende soziale Unterschiede gibt. So zeigten sich bei Frauen mit einem Migrationshintergrund ein höherer Bedarf und eine stärkere Nutzung materieller Hilfen während der Schwangerschaft. Große Unterschiede zeigen sich etwa bei der Erwerbstätigkeit und beim Einkommen: Mit weniger als 900 Euro im Monat müssen 26,5 Prozent der Einwanderinnen der ersten Generation auskommen, 22,3 Prozent der Einwanderinnen der zweiten Generation und 16,5 Prozent der Frauen mit einem eingewanderten Elternteil – aber nur 11,3 Prozent der Frauen ohne Migrationshintergrund. Es bleibt zu hoffen, dass sich der Prozess der Akkulturation irgendwann auch auf die sozialen Unterschiede auswirken und diese ausgleichen wird.

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“Ausländer raus” https://www.media4us.de/wp/2013/01/14/auslander-raus/ https://www.media4us.de/wp/2013/01/14/auslander-raus/#comments Mon, 14 Jan 2013 09:33:29 +0000 https://www.media4us.de/wp/?p=1107 "Kannst du dir eigentlich vorstellen, wie das ist?" So lautet die Frage, die die Schülerin Özlem jenen stellt, die sie als "Ausländerin" im eigenen Land deklassieren. Vorurteilen und Anfeindungen ausgesetzt zu sein, macht die Sache mit der Heimat noch schwieriger, als sie ohnehin schon ist. Ein Kommentar über das Hin und Her im Kopf und im Herzen.]]>

Ein Kommentar von Özlem Al, Schülerin der 10. Klasse

Menschen wie Dich verstehe ich nicht. Ganz ehrlich, in meinen Augen bist Du Dreck. Und das nicht nur, weil du was gegen uns hast, sondern schon wegen dieses Hakenkreuzes. Bist du stolz auf die Geschichte deines Landes? Wegen Leuten wie dir werden ALLE Deutschen in den Dreck gezogen!

Und jetzt zu etwas Anderem. Ich rede jetzt stellvertretend für ALLE „Ausländer“. Kannst du dir eigentlich vorstellen, wie das ist? Du kommst als türkisches Kind in Deutschland auf die Welt und am Anfang hast du nur Kontakt zu anderen ausländischen Kindern. Dann gehst Du in den Kindergarten, in die Grundschule, in die weiterführende Schule, und du merkst, irgendwie passt du hier nicht rein.

Blick auf die Heimatstadt. Duisburg © privat

Du sitzt zwischen blonden, blauäugigen Kindern und denkst dir: Habe ich was falsch gemacht? Weil dich die Leute auf der Straße komisch angucken.
Du wirst ausgelacht, weil du einmal “das” mit “der” vertauscht hast und weil deine Mutter Kopftuch trägt, und nicht zu vergessen, weil du einfach ANDERS aussiehst. Du läufst draußen rum und hörst “Scheiß Türkin!”.

Dann, nach jahrelangem Hin und Her hast du es irgendwie geschafft, auf ein Gymnasium zu kommen, und du beherrschst die deutsche Sprache besser als einige Deutsche. Du denkst, das müsste doch reichen, um als Deutsche akzeptiert zu werden. Aber nein, wieder nicht. Die Lehrer glauben nicht an dich, die Leute stempeln dich trotzdem als “asozialer Kanacke” ab. Du weißt, als „Schwarzkopf“ wirst du in diesem Land nie dieselben Rechte haben wie andere. Aber du gibst nicht auf und versuchst den Leuten das Gegenteil zu beweisen.

Viele werden jetzt sagen: “Geh doch zurück in dein Land, wenn Deutschland so scheiße ist”. Glaubt ihr wirklich, es wäre so einfach? Stellt euch vor, ihr lebt seit Jahren in diesem Land, in dem eure Eltern und Großeltern im Schweiße ihres Angesichts versucht haben, etwas aufzubauen. Ich glaube kaum, dass ihr Freunde, Verwandte, eure Umgebung, ALLES einfach hinter euch lassen könntet.

Außerdem sagt niemand, Deutschland sei scheiße. Im Gegenteil: wir sind hier geboren, aufgewachsen, wir leben hier, wir sprechen eure Sprache, wir kennen eure Sitten, WIR GEHÖREN ZU EUCH.

Aber ist es nicht trotzdem normal, die Heimat zu vermissen? Als Kleinkind bringt man dich dorthin und ALLES ist so ANDERS –  wärmer, grüner und so… Du lernst deine Verwandten kennen und hast das Gefühl, dass deine Eltern zum ersten Mal so richtig glücklich sind. Zum ersten Mal kannst auch du selbst so sein, wie es deine Kultur vorsieht. Aber dann kommt wieder die Einsicht: Hier bist du auch nicht zu Hause.

Dorfidylle. Sanfte Hügel, Sonne und Blick auf die Moschee © privat

Dort bist du Ausländer und hier bist du Ausländer und das wird sich nie ändern. Und bald musst du zurück und du wirst diese Menschen hier erst in zwei Jahren wiedersehen und es ist immer, als würde man Dir das Herz aus der Brust reißen.
Du weißt nicht, was du denken sollst, wo du zuhause bist, wer du wirklich bist und wieso wir nicht einfach normal leben können – die Welt gehört doch uns allen…

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„Die Kinder sind unser Reichtum. Das Wertvollste, was wir haben“ https://www.media4us.de/wp/2012/07/02/zu-besuch-bei-den-familien-von-fiftyfifty-die-kinder-sind-unser-reichtum-das-wertvollste-was-wir-haben/ https://www.media4us.de/wp/2012/07/02/zu-besuch-bei-den-familien-von-fiftyfifty-die-kinder-sind-unser-reichtum-das-wertvollste-was-wir-haben/#comments Mon, 02 Jul 2012 09:00:16 +0000 https://www.media4us.de/wp/?p=68 Seit der EU-Osterweiterung gehören Roma aus Bulgarien und Rumänien in ganz Europa zum Stadtbild. Im Gegensatz zu vielen anderen Orten kommen die neuen Zuwanderer in Düsseldorf an. Bastian Pütter von bodo e.V. hat die Roma-Familien und die Schwesterzeitung fiftyfifty besucht. ]]>

Zu Besuch bei den Familien von fiftyfifty

Gastbeitrag von Bastian Pütter (bodo e. V.)

Seit der EU-Osterweiterung gehören in ganz Europa Roma aus Bulgarien und Rumänien zum Stadtbild. Während beinahe überall anders versucht wird, sie mit bürokratischen Hürden und ordnungspolitischen Schikanen zur Weiterreise zu bewegen, kommen die neuen Zuwanderer in Düsseldorf an. Das ist zwar alles andere als konfliktfrei, und auch hier sind die Kapazitäten begrenzt, doch fiftyfifty zeigt, dass es geht. Ein Besuch bei unserer Schwesterzeitung in Düsseldorf und bei Bobi und Ana, bei Claudia, bei Remus und Monica und ihren Kindern.

Foto: © Mauricio Bustamante

Zu den Absurditäten der EU-Gesetzgebung gehört, dass EU-Bürger aus Bulgarien und Rumänien sich zwar in Deutschland aufhalten, aber bis 2014 hier nicht angestellt arbeiten dürfen und von beinahe allen staatlichen Leistungen ausgeschlossen sind. Eine Rumänin, die im Park schlafen muss, ist nicht obdachlos, sondern „Touristin“.
Hubert Ostendorf hat diese Verlogenheit nicht mehr ertragen wollen. Hubert ist Mitbegründer des Düsseldorfer Straßenmagazins fiftyfifty und Kopf der „fiftyfifty-Galerie“. Hier wird von Größen wie Gerhard Richter oder Markus Lüpertz gespendete Kunst zu Gunsten der gemeinnützigen Arbeit verkauft. Gleichzeitig ist die Galerie eine der Ausgabestellen des Straßenmagazins. Über die letzten 17 Jahre hat vor allem die Galerie dem Verein Rückhalt in der bürgerlichen Mitte und Autorität in der Kommune verliehen, die nun bitter nötig ist. Denn fiftyfifty nimmt sich der Neuzuwanderer an.

Die Insel der Glückseligen
Auch wenn es ziemlich geknirscht hat am Anfang und er sich nicht nur Freunde gemacht hat, inzwischen ist die Integration rumänischer Roma in Düsseldorf weiter fortgeschritten als irgendwo sonst. Hubert hat rumänisch gelernt und kämpft unermüdlich für seine Leute und gegen die zahlreichen Widerstände. 700 rumänische VerkäuferInnen hat fiftyfifty aufgenommen, 25 Familien haben sichere Wohnungen und eine Perspektive.

„In Berlin leben 200.000 Roma, 80% sind nicht gemeldet, die wenigsten Kinder haben Zugang zum Schulsystem. Hier sind alle gemeldet, der Außendienst des Einwohnermeldeamtes kontrolliert. Und alle schicken ihre Kinder zur Schule. Die medizinische Versorgung ist durch ein Ärztenetzwerk sichergestellt. Das ist einzigartig in Europa. Wir sind hier die Insel der Glückseligen.“ Diese einzigartige Situation hat fiftyfifty hart erkämpft. Mit Kommune, Vermietern und dem landesgeförderten fiftyfifty-Projekt „eastwest“ ist ein fragiles Netz entstanden, das inzwischen 25 großen Familien Halt gibt. Der Verkauf des Straßenmagazins – zehn Zeitungen am Tag werden pro Person ausgegeben – sorgt für ein kleines Einkommen, meist wechseln sich die Eltern beim Verkauf ab. Gemeinsam mit Wohn- und Kindergeld und mit Lebensmittelspenden durch die Franziskaner kommen die Familien über die Runden.

Gastfreundschaft
In der Galerie lernen wir Bobi und Ana kennen, die uns in ihre Wohnung einladen. Wenig später biegt sich der Tisch unter Brot und Käse, Wurst und gebratenen Eiern, Gurken und Tomaten. Natürlich sieht man, dass hier nicht das Geld zu Hause ist, aber bei Gästen wird nicht gespart. Bobi achtet streng darauf, dass es nicht bei Anstandshäppchen bleibt und füllt immer wieder unsere Teller. Nebenbei erzählt der 32jährige vom Glück seiner geregelten Arbeit, von der Sicherheit, die der Verkauf des Straßenmagazins fiftyfifty biete und auch vom Hunger in Rumänien, wenn wieder keine Arbeit zu finden war. Die Vier-Zimmer-Wohnung befindet sich zwar in einem eher heruntergekommenen Haus, mit leuchtender Wandfarbe, von fiftyfifty vermittelten Möbeln, Familienfotos an den Wänden und dem bei einer Großfamilie nötigen Ordnungssinn ist sie aber freundlich und einladend. Und voll. Uns fällt es zu Beginn gar nicht leicht, die Kinder den einzelnen Familien zuzuordnen. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Im Haus leben mehrere Familien aus Rumänien. Das hat sich als einfacher erwiesen, sagt Hubert. Mit den vielen Kindern und dem vielen Besuch tut sich ein „normales“ Mietshaus schwer.

Foto: © Mauricio Bustamante

Wunder und Berufswünsche
Und um diese Kinder geht es. Während Bobi und Ana früher gehungert haben, damit ihre Kinder zu essen hatten, wollen sie und die anderen nun alles tun, um ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen. Claudia kommt dazu. Ihre dreijährige Tochter Andra ist Huberts Patenkind. Als Hubert Claudia kennenlernte, war sie verzweifelt. Andra hatte einen Herzfehler, ein Loch in der Herzscheidewand. Nur eine Operation konnte ihr Leben retten, bestätigte der Kinderkardiologe. 12.000 Euro sollte die Operation kosten, Hubert wollte um Spenden bitten, doch erst musste Andra getauft werden – und Hubert wurde Pate. Die nächste Untersuchung zeigte: Das Loch war verschwunden. Möglich, aber selten, sagten die Ärzte. Ein Wunder, sind sich alle im Raum sicher. Und Huberts „gute Energien“.

Ich unterhalte mich mit Petrisor, ihrem Bruder, der auch erstaunlich gut deutsch spricht und in die dritte Klasse geht. Dort ist er der einzige Rom. Ein leiser, freundlicher Junge, der Sport und Schwimmen als seine Lieblingsfächer nennt, aber für die Erwachsenen lächelnd nachreicht, dass er eigentlich alle Fächer mag. Ob er Freunde in der Klasse hat? „Alle, außer den Mädchen.“ Und wenn er groß ist? „Möchte ich einen Beruf haben.“

Anas und Bobis ältester Sohn Ionuts weiß es genauer. „Ich möchte Automechaniker werden, aber das heißt Mechatroniker.“ Die älteren haben ihre Mühe mit der neuen Welt, den jungen Kindern fällt die Eingewöhnung leicht. Nach Rumänien zurück möchte keiner. Es ist keine drei Jahre her, da sagte der damals sechsjährige Petrisor beim Anblick der Dusche in der damals neuen Wohnung resigniert: „Das Haus ist kaputt, es regnet rein.“ Mittlerweile lachen alle gemeinsam über die Anekdote und Petrisor ist sie ein bisschen peinlich.

Unter Generalverdacht
Dass längst nicht alles einfach ist in im Leben mit der Aufnahmegesellschaft, wird deutlich, als Petrisor beim Spiel sich selbst kommentiert: „Scheiß Zigeuner!“
„Es gibt keine Gruppe, keine Ethnie, die in so starker Weise Vorurteilen ausgesetzt ist“, sagt Hubert. „Ein Rom ist hier 24 Stunden unter Generalverdacht.“ Als er ein Fahrrad an eine der Töchter eines fiftyfifty-Verkäufers verschenkte, nahm die Polizei es ihr kurze Zeit später ab, es könne ja nur gestohlen sein. Inzwischen kleben kleine Schenkungsurkunden an allen Rädern, ausgestellt von fiftyfifty. Monica (24) berichtet von regelmäßigen Ausweiskontrollen – „Wo gehst du anschaffen?“. Ständig muss sie beim Einkaufen ihre Tasche leeren. Monica ist inzwischen selbstbewusst genug, auf ihr Recht zu bestehen, aber gerade für die Jungen seien die Verdächtigungen eine riesige Belastung, sagt Hubert: „Das Schlimme ist: Es ist ein Wechselspiel. Wenn jeder sagt, du bist ein Dieb, warum solltest du dann nicht stehlen?“

Auch die MitarbeiterInnen bei fiftyfifty haben sich ein dickes Fell zulegen müssen. Beschimpfungen per Mail und Telefon waren und sind an der Tagesordnung, die fast einhellige Meinung: Diese Leute, „die Zigeuner“ gehören hier nicht hin.

Foto: © Mauricio Bustamante

Die Chance auf eine Zukunft
Dass sie trotzdem hier sind, hat zwei einfache Gründe: Sie mussten weg und sie dürfen hier sein. Als Bulgarien und Rumänien – ohne die elementarsten Bedingungen zu erfüllen – in die europäische Union aufgenommen wurden, hat man sie vergessen. Die Brüsseler Bürokraten waren nicht darauf gekommen, dass eine Gruppe, die Hunger leidet, weil sie vom Arbeitsmarkt weitgehend ausgeschlossen ist, und die in Angst lebt, weil es immer wieder zu Übergriffen und Pogromen kommt, sich auf den Weg machen könnte. Sie sind die Unerwünschten. So schwierig ihre Lage ohne Rechte und ohne Versorgung in Deutschland ist, so viel besser ist sie „zu Hause“.

Remus (31), Monicas Mann, sagt energisch: „Ich will hier leben. Meine Kinder sollen hier zehn Jahre zur Schule gehen.“ Und: „Ich brauche nicht viel Geld, keine 20 Zimmer und sechs Autos. Ich wünsche mir, zu leben wie normale Leute.“ Wer eine Chance suche, finde sie auch. Kriminell zu werden, sei das letzte, was er sich vorstellen könne. Für 100 Euro ins Gefängnis zu gehen? „Ich will meine Kinder aufwachsen sehen. Wer kriminell wird, hat kein Herz, kein Blut, sondern Wasser.“
Die Frage, ob er manchmal Heimweh hat, beantwortet er deutlich wie die anderen: „Nein.“ Er lacht bitter. „Ich bring dir eine Zeitung aus Rumänien mit. Da ist alles kaputt. Die Leute machen doch hier keine Probleme, weil dort alles gut ist.“

Statt an Rumänien denken sie an die Zukunft, vor allem an die ihrer Kinder. Hubert übersetzt: „Die Kinder sind unser Reichtum. Das Wertvollste, was wir haben“ Ana nickt.

„Insel der Glückseligen“: Eine Fotoserie von Mauricio Bustamante

INFO
In den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ein Grundrecht. Deutschland erhält trotz der Kritik der EU-Kommission die Beschränkung der Freizügigkeit für Menschen aus Rumänien und Bulgarien bis Ende 2013 aufrecht. Zuwanderer dürfen damit einreisen, aber nicht angestellt arbeiten und sind bis auf Ausnahmen von Sozialleistungen ausgeschlossen. Auch Angebote der Wohnungslosenhilfe und Armutsvorsorge stehen Neuzuwanderern nur sehr eingeschränkt zur Verfügung. „Touristen“ gelten nicht als obdachlos. 2011 zogen 52.000 Menschen aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten Rumänien und Bulgarien nach Deutschland, in Dortmund sind ca. 2.500 gemeldet. Die meisten gehören der Volksgruppe der Roma an und sind in den Herkunftsländern Opfer massiver Diskriminierung. Im Gegensatz zur Zeit unter den sozialistischen Regimen liegen die Arbeitslosenquoten heute z.T. über 90 Prozent.

erschienen in: bodo. Das Straßenmagazin, Mai 2012

 

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Mein Vater, der Gastarbeiter https://www.media4us.de/wp/2012/06/29/mein-vater-der-gastarbeiter/ https://www.media4us.de/wp/2012/06/29/mein-vater-der-gastarbeiter/#comments Fri, 29 Jun 2012 09:56:46 +0000 https://www.media4us.de/wp/?p=236 Der Schlosser Ali Tayfur kam vor 42 Jahren nach Duisburg - wurde Betriebsrat, SPD-Mitglied und: heimisch. Rusen Tayfur hat sich auf die Spuren der Geschichte ihres Vaters begeben. Es ist eine Einwanderungsgeschichte, die typisch für die Generation und doch seine ganz eigene ist. ]]>

Der Schlosser Ali Tayfur kam vor 42 Jahren nach Duisburg – wurde Betriebsrat, SPD-Mitglied und: heimisch

von Rusen Tayfur

Foto: © Tanja Pickartz/WAZ-Fotopool

Duisburg. Ich habe mich schon oft gefragt, wie es gewesen wäre, wenn ich in der Türkei aufgewachsen wäre. In Diyarbakır, der südostanatolischen Stadt am Ufer des Tigris, aus der meine Eltern stammen. Aber meine Brüder und ich sind made in Germany, geboren in Duisburg. Schuld daran ist das Anwerbeabkommen, das Deutschland 1961 mit der Türkei geschlossen hat. Und ein heftiger Streit, den mein Vater mit meinem Großvater hatte. Aber alles schön der Reihe nach. Ali Tayfur, der einmal mein Vater werden sollte, war gerade mit der Berufsschule fertig. Fünf Jahre lang hatte er tagsüber gearbeitet und abends gebüffelt. Gleich drei Berufe hatte er sich so erworben: Maschinenschlosser, Dreher und Fräser. Und er wollte noch mehr: die Hochschule in Istanbul besuchen. Mein Opa sah nicht ein, warum er einem seiner acht Kinder solche Sperenzchen finanzieren sollte. „Ich war wütend und enttäuscht“, erinnert sich mein Vater. Wie seine kleinen olivenschwarzen Augen vor Zorn gefunkelt haben müssen, wie er den Kopf mit dem damals noch dichteren schwarzen Haar geschüttelt hat. Zweimal hat dieser kurdische Dickkopf im Zorn eine gewichtige Entscheidung getroffen. Die erste, die dem Streit mit Opa folgte, war eine ziemlich gute, wie wir alle finden. Die zweite, von der noch die Rede sein wird, war, wie nicht nur mein Vater meint, „die dümmste Entscheidung meines Lebens“.

Wütend und enttäuscht also läuft mein Vater ins nächste Arbeitsamt, um sich zum Dienst am deutschen Wirtschaftsaufschwung zu melden. Überall kursieren Geschichten von den ersten Gastarbeitern, die mit einem Koffer losgefahren und im Mercedes, die Taschen voller D-Mark, zurückgekehrt sind. Dann der Gesundheitscheck, den mein Vater über sich ergehen lässt: „Ich hab’ Verständnis gehabt, die Leute wollten uns als Arbeitskraft, ganz logisch.“ Und schließlich steht er eines Montags, am 10. Februar 1969, mit hunderten anderer Männer und Frauen im Istanbuler Sirkeci-Bahnhof, damals noch Endstation des Orient Express. Alle Freunde winken, wer weiß, wann man sich wiedersieht. Fliegende Händler verkaufen Wörterbücher. Dann fährt er ein, der Sonderzug nach Deutschland.

Foto: privat

Halbes Gehalt für den Deutschkurs
Wie die meisten hat mein Vater nur einen Holzkoffer dabei, angefertigt für diese Reise. Darin: „nur ein paar Kleidungsstücke.“ Und auf dem Rücken eine Cümbüs, eine türkische Laute. Noch heute gibt mein Vater abends gern spontane Konzerte, am liebsten, wenn Gäste da sind und ein Glas Rakı vor ihnen steht. „Ich bin nicht des Geldes wegen gekommen, nicht wegen der Arbeit, sondern aus Abenteuerlust.“ Das sagt mein Vater immer, wenn wir von damals reden. Er wollte „Deutsch lernen, die Deutschen kennenlernen, Deutschland auch und dann andere europäische Länder“. Und genau in dieser Reihenfolge hat er es gemacht.

Mein Vater ist von der Mannesmann AG angeworben worden, als Betriebsschlosser im Hauptwerk an der Ehinger Straße in Duisburg. Die erste Zeit wohnt er in einem Ledigenheim in Oberhausen. Nach einer Woche mit Lautsprache am Arbeitsplatz und Gehampel beim Brotkaufen beschließt er, dass es so nicht weitergeht. „Ich habe in meinem Wörterbuch das Wort Sprachschule nachgeschlagen und mich durchgefragt.“ 400 Mark bezahlt er für den Einzelunterricht, die Hälfte seines Gehalts. Fortan büffelt er nach der Arbeit Vokabeln und Grammatik. Zum Beweis holt er gerne die blauen Wörterbücher hervor und die Schulhefte mit gelbem Einschlag. Fein säuberlich stehen darin Wörter und ganze Sätze. Man sieht: Mein Vater hat das damals sehr ernst genommen mit dem Deutschlernen. Die Kollegen im Heim tippen sich an die Stirn. Doch schnell wird er zum Dolmetscher für viele andere, die keine Lust haben, so viel Geld in Deutschkurse zu stecken. Wo sie doch eh nach drei, höchstens fünf Jahren zurückkehren wollen. Mein Vater lacht immer, wenn er das erzählt, er kennt zu viele, die heute noch hier sind. Und manche können immer noch nicht richtig Deutsch.

Mein Vater wird Gewerkschafter, Betriebsrat, SPD-Mitglied. Er hat deutsche Freunde, bald auch eine deutsche Freundin. Während viele Türken in zwei Schichten arbeiten, um mehr Geld zu verdienen für die Rückkehr, lässt er die Dinge auf sich zukommen. „Ich hatte keinen Plan, niemals.“ 1976 ist das süße Leben vorbei. Beim Urlaub in Diyarbakır, standesgemäß im Opel Kadett Coupé, nimmt Oma ihn zur Seite. Wie es denn mit der hübschen Nachbarstochter wäre. Mein Vater, 31 Jahre alt, willigt ein, meine Mutter auch. Gleich wird Verlobung gefeiert, im Jahr darauf die Hochzeit, drei Tage und drei Nächte lang.

Türkenwitze auf der Arbeit
Hier beginnt nun eine neue Einwanderungsgeschichte, die meiner Mutter. Gerade mal 17 Jahre ist sie, blutjung und unerfahren. Die erste Zeit ist hart, sie heute darüber auszufragen endet in Tränenmeeren orientalischen Ausmaßes. Mein Vater mietet eine Wohnung in Duisburg-Neudorf, keine anderen Türken weit und breit, keine Dönerbude, kein Gemüsehändler, der auch Auberginen hat. Und so besitzt auch meine Mutter bald Vokabelhefte. Mein Vater lernt abends nach der Arbeit mit ihr. Schon neun Monate später komme ich zur Welt, meine Mutter und ich lernen zusammen Deutsch. Die erste Nachbarin, mit der sie sich anfreundet, wird zu meiner heißgeliebten Tante Bärbel. Doch mein Vater erinnert sich auch an Unangenehmes: „Einmal hatten wir einen Zettel im Briefkasten. Ihr Scheiß-Kanaken, geht in euer Land zurück, stand darauf.“ Auch auf der Arbeit gibt es blöde

Sprüche. „Sie erzählten Türkenwitze, das war nicht schön.“ Hat er denn niemals darüber nachgedacht zurückzugehen? „Nein, ich wollte bleiben und gegen die Vorurteile kämpfen.“ Mein Vater ist fest davon überzeugt, dass es in jedem Volk nette und doofe Menschen gibt.

Familie mit Migrationshingergrund: Songül Tayfur (51), Ali Tayfur (66) und WAZ-Redakteurin Rusen Tayfur (33)

Familie mit Migrationshingergrund: Songül Tayfur (51), Ali Tayfur (66) und WAZ-Redakteurin Rusen Tayfur (33)
Foto: © Tanja Pickartz / WAZ-Fotopool

Und doch wären wir fast alle wieder fortgewandert. Das war 1984, ein paar Monate vor meiner Einschulung. Mein Vater, damals im Betriebsrat, hat täglich türkische Kollegen vor sich, die darüber nachdenken, die Rückkehrprämie anzunehmen, mehrere tausend Mark. „Tut es nicht“, rät er ihnen, „ihr werdet es bitter bereuen.“ Doch dann kommt dieser Tag, an dem Wut und Stolz über die Vernunft siegen. An dem mein Vater sich streitet mit einem Vorgesetzten und kündigt. Die zweite folgenschwere Entscheidung. Für meine Mutter bricht eine Welt zusammen. Im vollbepackten Ford Granada geht es Richtung Türkei. Vier Monate lang versucht mein Vater Arbeit zu finden. „Aber ich habe gesehen, wie schwer es wird, wieder Fuß zu fassen. Es war nicht mehr die Türkei, die ich 1969 verlassen hatte.“ Pünktlich zum neuen Schuljahr sind wir wieder in Duisburg. „Da habe ich entschieden, dass ich nicht mehr zurück will“, sagt mein Vater. Deutschland wird unser aller Heimat. 2001 lassen wir uns einbürgern. Meine Eltern leben gerne hier. Trotzdem: „Ich bin kein Deutscher“, sagt mein Vater. „Man kann nicht aus Äpfeln Birnen machen.“

Bildergalerie. Fotos: Tanja Pickartz / WAZ FotoPool und Bernd Lauter/WAZ-Fotopool

erschienen in: WAZ, 08.10.2011

 

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