Media4Us » Arbeit https://www.media4us.de/wp Ein weiterer WordPress-Blog Mon, 23 Feb 2015 14:22:24 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=4.2.2 Ausländischer Hochschulabschluss? Zutritt verboten! https://www.media4us.de/wp/2013/02/25/arbeit-mit-auslandischem-hochschulabschluss-zutritt-verboten/ https://www.media4us.de/wp/2013/02/25/arbeit-mit-auslandischem-hochschulabschluss-zutritt-verboten/#comments Mon, 25 Feb 2013 14:38:31 +0000 https://www.media4us.de/wp/?p=1262 Ausländische Hochschulabschlüsse finden in Deutschland wenig Anerkennung. Während die Bundesagentur für Arbeit von einem Rekordtief der Arbeitslosenzahlen berichtet, betrifft diese gute Nachricht deutsche Spätaussiedler aus dem Ostblock kaum. Immer noch haben junge Leute riesige Schwierigkeiten einen Job zu finden, selbst wenn sie hochqualifiziert sind. Ein Beitrag von Elena Pupejko]]>

von Elena Pupejko *

Ein „gekauftes Diplom aus Russland“ – den Vorwurf hat Nelli S. schon öfters gehört. Sechsjähriges Studium der Zahnmedizin in Perm, drei Jahre Berufserfahrung als Kinder-Zahnärztin in der Klinik in Perm – das alles zählt nur wenig, wenn eine 29-jährige Spätaussiedlerin ihr Glück auf dem deutschen Arbeitsmarkt sucht. Über 100 Bewerbungen im Jahr, um lediglich einen Praktikumsplatz zu finden. „Nicht viele Arbeitgeber möchten eine Praktikantin aus Russland nehmen. Sie denken, dass wir uns Diplome gekauft haben”, sagt Nelli S. empört.

© media4us / foto: Markus Vogel – Beitrag aus dem Fotowettbewerb “Zeig’s uns!“

Nellis Geschichte ist keine Seltenheit. Qualifizierte Spezialisten aus dem Ausland und ein Mangel an Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt – sollten sie nicht wie Puzzlestücke schön aneinander passen? Anscheinend nicht. Denn die ausländischen Hochschulabschlüsse finden in Deutschland wenig Anerkennung. Während die Bundesagentur für Arbeit von einem Rekordtief der Arbeitslosenzahlen berichtet, betrifft diese gute Nachricht deutsche Spätaussiedler aus dem Ostblock kaum. Immer noch haben junge Leute riesige Schwierigkeiten einen Job zu finden, selbst wenn sie hochqualifiziert sind. „Verkehrte Welt!” ruft das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aus. Laut seiner Studie seien Akademiker mit Hochschulabschluss unter Spätaussiedlern sogar häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen als die ohne Berufsausbildung. „Schuld daran dürften u.a. die Probleme beim Transfer ihrer ausländischen Abschlüsse sein”, erklären die Forscher.

Dmitry G. kommt ursprünglich aus russischem Tscheljabinsk. Der 29-Jährige  überlegt, ob er noch mal ins Studium der Betriebswirtschaftslehre an Ludwig-Maximilians-Universität München einsteigt, weil er sich dadurch bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhofft. Die Entscheidung fällt aber nicht ohne Qual. Schon ein fünfjähriges Studium des Transport- und Logistikmanagements hinter sich, dazu noch einige Jahre Berufserfahrung als Leiter einer kleinen Firma in der Logistikbranche in seiner Heimatstadt. So begeistert ist er nicht davon, noch mal in die Welt der Vorlesungen, ECTS-Punkten, Abgabetermine für Hausarbeiten und Prüfungen einzusteigen. Darüber hinaus muss er schon für seine Familie sorgen, statt in der Bibliothek zu pauken. Die Lehrer aus dem Ausland haben es besonders schwer, weil von ihrem Studium nur zwei – drei, im besten Fall vier, Semester angerechnet werden.

Die Kinder gehen morgens in die Schule, ihr Papa marschiert zur Uni. In der Ukraine war er Direktor eines christlichen Instituts. „Mir wurde am Anfang erklärt, welche Aussichten ich mit meinem Lehramtsstudium habe”, sagt Vladimir Devakov. Mit 35 hat er wieder ein Lehramtstudium in Englisch und evangelischer Theologie aufgenommen, diesmal in Osnabrück. Mit 40 kann es wieder mit der Arbeit anfangen und an einer deutschen Schule in Bremen unterrichten.

Das neue „Anerkennungsgesetz”, das seit April 2012 in Kraft getreten ist, soll die Anerkennung der im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen erleichtern. Es soll die Lücke an qualifizierten Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt ausfüllen und zu besserer beruflicher Integration beitragen. Ob die Maßnahme tatsächlich etwas bewegen wird, bezweifelt Sandra Koch, die seit sieben Jahren Spätaussiedler und Ausländer in Anerkennungs- und Berufsfragen bei der Otto Benecke Stiftung in Nürnberg berät.

Selbst wenn die Hochschulausbildung eine offizielle Anerkennung genießt, hilft es jungen Leuten nur wenig. „Die Arbeitgeber sind generell skeptisch, egal ob der Abschluss anerkannt wird oder nicht”, meint Sandra Koch. Sie könnten ausländische Abschlüsse nicht richtig einschätzen, sogar auch dann nicht, wenn sie formal den deutschen gleichgestellt werden, und wissen nicht, was man an Kenntnissen wirklich mitbringt.

Nellis Chef wusste es auch nicht. Er hat ihr sechs Monate Probezeit angeboten. „Ich habe gezeigt, was ich wirklich kann. Nach einem Monat hat mein Chef mir gesagt, dass ich geeignet bin und hat mich fest angestellt”. Ihre Arbeitskollegen hätten gesehen, dass auch diejenigen, die in Russland studiert haben, professionelle Arbeit leisten können.

Reibungslos sei es aber davor nicht gelaufen. Viele kurze Arbeitsproben, kaum eine Rückmeldung, nicht mal mit einer Absage. Das habe weh getan. „Einmal habe ich einen siebentägigen Praktikumsplatz bekommen. Die anderen Kollegen haben mich von Anfang an nicht akzeptiert, nach zwei Tagen wurde ich entlassen, mit dem Vorschlag, dass ich lieber als Verkäuferin arbeiten solle.”

Manchmal hören Spätaussiedler im Jobcenter diesen Ratschlag: „Sie sollen sich nicht so hoch bewerben.” Ein Ingenieur, Lehrer oder Arzt könne doch auch putzen und in der Küche arbeiten. Hauptsache man verdiene so schnell wie möglich den eigenen Lebensunterhalt. Solche Empfehlungen tragen kaum dazu bei, junge Akademiker zu motivieren.

Nelli S. lässt sich nicht entmutigen. Noch vier Jahre muss sie als Zahnärztin für das Gehalt einer Zahnarzthelferin in einer Praxis in Baden-Württemberg arbeiten. Danach darf sie aber eine Defizitprüfung machen und kann die Approbation erhalten.

*Erstveröffentlichung in: Nürnberger Zeitung

 

 

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Berlin: wie eine griechische Insel? https://www.media4us.de/wp/2013/02/25/berlin-wie-eine-griechische-insel/ https://www.media4us.de/wp/2013/02/25/berlin-wie-eine-griechische-insel/#comments Mon, 25 Feb 2013 08:55:45 +0000 https://www.media4us.de/wp/?p=1275 Immer mehr junge Südeuropäer zieht es in die deutsche Hauptstadt. Arbeit, Studium und das Leben in einer der spannendsten Städte Europas, das sind die häufig genannten Gründe für einen Umzug nach Berlin. Aber was genau hoffen die jungen Leute aus Spanien, Griechenland, Portugal und Italien hier zu finden? Tiago Mansilha hat mit vier von ihnen gesprochen.]]>

Südeuropa erlebt zur Zeit wirtschaftliche Turbulenzen, von denen ein Ende nicht abzusehen ist. Ein Großteil der jungen Menschen ist arbeitslos, für viele von ihnen stellt Berlin eine Alternative dar. Aber Arbeit ist nicht der einzige Grund für ein Leben in der deutschen Hauptstadt. Hier sind die Geschichten von Alonso, Daniele, Sara und Persefoni.

Griechenland: 58%
Spanien: 56%
Portugal: 38%
Italien: 37%

Das sind die Eurostat-Zahlen für Jugendarbeitslosigkeit (junge Menschen unter 25 Jahren) in den Ländern Südeuropas im Dezember 2012. Im Gegensatz dazu kommt Deutschland nur auf rund 8 %, es ist das einzige Land der Europäischen Union, in dem die Jugendarbeitslosigkeit im Vergleich zu 2008 sank.

In der Hauptstadt Berlin ist das Ambiente multikulturell, immer mehr Südeuropäer kommen hierher. 2011 stiegt laut der Süddeutschen Zeitung die Zahl der Spanier und Spanierinnen in Berlin um rund 50 % im Vergleich zum Vorjahr, die Anzahl der Griechen verdoppelte sich knapp. Arbeit, Studium und das Leben in einer der spannendsten Städte Europas, das sind die häufig genannten Gründe für einen Umzug nach Berlin. In Wirklichkeit ist die Arbeitssituation der Stadt nicht ganz so rosig im Vergleich zum Rest Deutschlands. Im Januar 2013 waren 12,2 % der Jugendlichen arbeitslos. Diese Zahl bleibt zwar deutlich unter den Arbeitslosenzahlen Südeuropas, ist in Deutschland jedoch die höchste.

Was hoffen die jungen Leute aus Spanien, Griechenland, Portugal und Italien in Berlin zu finden? Arbeit – das ist eine der Antworten, logisch. Aber es ist nicht der einzige Grund, und oft auch nicht der wichtigste.

Im Uhrzeigersinn: Daniele, Persefoni, Sara und Alonso © Tiago Mansilha

Wenn Berlin ein Zufall ist
Alonso Acosta, 28 Jahre, Spanier

“Mit 19 habe ich angefangen zu arbeiten. In Spanien war ich als Kühltechniker tätig. Ich reparierte Klimaanlagen in Einkaufszentren und Fabriken. Der Grund warum ich hier bin? Ich bin Vater geworden. Ich habe meine Partnerin, eine Deutsche, in Madrid kennengelernt. Sie wollte unsere Tochter in Deutschland bekommen, denn die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich bereits und Unterstützung für Mütter wurde so gut wie nicht mehr angeboten. Hier in Deutschland dagegen kann sie mit Hilfe des Staates unsere Tochter großziehen und weiter studieren.

In Madrid war ich in einem sehr guten Unternehmen angestellt. Ich war fast 7 Jahre lang in der Firma, ich hatte ein Auto und rechtliche Ansprüche. Eigentlich dachte ich, dass mich nichts aus Madrid weglocken könnte. Aber im Leben kommt es oft anders. Berlin war ein Zufall, ich habe es mir nicht ausgesucht. Wenn meine Partnerin Chinesin gewesen wäre, wäre ich jetzt in China. Ich werde hier bleiben, bis meine Tochter älter ist. Berlin ist eine sehr liberale Stadt und durch die Wirtschaftskrise hätte ich Angst, nach Madrid zurückzukehren, denn mein Job dort ist schon lange weg. Mein Vater ist in der Krise arbeitslos geworden, meine Mutter arbeitet momentan noch in einem Krankenhaus, aber auch sie hat Angst, ihre Arbeit zu verlieren. Diese Gefahr besteht für alle öffentlichen Angestellten, die nach 2004 eingestellt wurden.”

Berlin – Ort der Freiheit
Daniele Simocini, 25 Jahre, Italiener

“Ich habe in Italien einen Universitätsabschluss in Fremdsprachen gemacht und in drei verschiedenen Unternehmen gearbeitet. In der letzten Firma ist das Arbeitsvolumen durch die Krise stark zurückgegangen. Man hat mir so schlechte Bedingungen angeboten, dass ich mich entschloss, zu kündigen und eine Reise durch Europa zu machen. Ich kam auch nach Berlin, wo es mir so sehr gefiel, dass ich beschloss zu bleiben. Jetzt lerne ich Deutsch und arbeite in einem Restaurant. In Berlin gibt es zwar nicht viele Arbeitsoptionen, aber die Lebenshaltungskosten sind nicht sehr hoch. Ich arbeite an fünf Tagen die Woche fünf Stunden und kann meine Ausgaben decken.

In Deutschland funktioniert der Sozialstaat, in Italien nicht mehr. Die jungen Menschen haben keine Arbeit und leben bei ihren Eltern. Auch die Einstellung der Menschen ist ein Problem. Ich habe in einem kleinen Dorf gewohnt und im Vergleich dazu ist Berlin perfekt. Klar, die Tatsache, dass ich schwul bin, hat mein Leben beeinflusst. In Italien kann man nicht offen sagen “Ich bin homosexuell”. Das kann sogar gefährlich sein, besonders in Süditalien, wo viele noch konservativer sind. Ich persönlich bin schon offen mit meiner Sexualität umgegangen, aber hier in Berlin fühle ich mich viel wohler. Vor allem wegen der besseren Rahmenbedingungen: Mein Arzt etwa ist auf  Fragen im Zusammenhang mit Homosexualität und den Problemen homosexueller Paare spezialisiert. In Berlin fühle ich mich wohl.”

Berlin ist Alleinsein
Sara Cardoso, 25 Jahre, Portugiesin

“Wenn kein Schnee liegt, fahre ich immer Fahrrad. Kurz nach meiner Ankunft in der Stadt war ich nach einem Kneipenabend mit Freunden auf dem Weg nach Hause, es war ungefähr zwei Uhr morgens. Zu der Zeit war ich wie ein Schwamm, ich habe alle Eindrücke aufgesogen. Mein Weg führte direkt durchs Zentrum, vorbei am Fernsehturm, am Alten Museum und an der Humboldt-Box. Ich fand das so wunderbar, dass ich vom Fahrrad stieg und mich auf den Rasen legte. Es war zwei Uhr morgens und ich war alleine. Ich habe in den Himmel geblickt, ich habe alles um mich herum angeschaut und bin eingeschlafen. Ich habe mich sicher gefühlt, es war Nacht und ich machte, was ich wollte. Ich und mein Fahrrad. Berlin ist Alleinsein. Und manchmal ist Alleinsein eine wunderbare Sache.

Bevor ich hierher kam, habe ich meinen Schulabschluss gemacht und angefangen, in Portugal Design zu studieren. Nach drei Jahren stellte ich fest, dass das Studium nicht das war, was ich wollte, und fing an zu arbeiten, um mich selbst zu finanzieren. Zu der Zeit begann ich mit den Vorbereitungen, Lissabon zu verlassen, denn ich war an dem Unterricht, den ich in Portugal erhalten konnte, nicht interessiert. Alles, was ich in der Uni entwerfen sollte, war sehr konventionell. Wenn es eine Kopie von bereits Existierendem war, um so besser. Ich merkte, wie ich stagnierte. Wenn meine Fakultät bessere wirtschaftliche Bedingungen gehabte hätte, hätten wir vielleicht auch Parabolantennen oder Autos entwerfen können, wie es deutsche oder holländische Studenten tun. Für mich kamen mehrere europäische Städte in Betracht und ich entschied mich für Berlin, weil es billiger als London oder Amsterdam ist und weil es gute Studienbedingungen bietet. Hier kann jeder studieren. In Portugal muss ich 1.000 Euro im Jahr zahlen, ohne jegliche Unterstützung, hier zahle ich weniger und habe ein Semesterticket und bin krankenversichert.

Es ist nicht leicht, einen typischen Immigranten in Berlin zu finden. Die Leute kommen hierher, weil sie studieren oder Kunstprojekte verwirklichen möchten. Ich bin in Lissabon geboren und aufgewachsen. Ich kenne jeden Winkel, die Stadt ist klein und anstrengend. Berlin hat mir neue Möglichkeiten geboten.”

Berlin – ein Ort für alle
Persefoni Myrtsou, 26 Jahre, Griechin

“Es gibt den greifbaren Teil der Krise: die steigende Arbeitslosigkeit, die sinkenden Gehälter. Dann gibt es noch den psychologischen Aspekt, wie die Krise sich auf die Menschen auswirkt. Viele junge Menschen leiden an Depressionen, sie werden zu tatenlosen Zuschauern ihres Lebens und erheben ihre Stimmen nicht mehr. Die psychologischen Einschränkungen ist eines der größten Probleme der Krise.

Ich habe Griechenland mit 18 Jahren verlassen, um in Schottland zu studieren, vor vier Jahren kam ich nach Berlin. Heute kann ich sagen, dass Berlin mir schon das gegeben hat, was ich wollte: ich wollte ohne Studiengebühren Kunst studieren und weiter im akademischen Rahmen arbeiten. Ich war als Bildhauerin tätig, ich habe bei der Gestaltung eines ottomanischen Restaurants geholfen und nach und nach besser Deutsch gelernt, bis ich an der UdK für ein Masterstudium angenommen wurde.

Die Welt der Kunst ist in Berlin gleichzeitig klein und groß, das hängt von den Zielen des Einzelnen ab. Es gibt Künstler, die mit Galerien zusammenarbeiten möchten, und es gibt viele Galerien in der Stadt. Man muss jedoch geschickt sein, die besten Kontakte knüpfen, die richtigen Leute überzeugen und sehr gute Pressearbeit machen. Aber man findet auch viele unabhängige Gruppen, die in alternativen Räumen arbeiten, die offen sind für neue Ideen, neue Namen, neue Gesichter und neue Projekte. Es gibt viele Leute und es passiert viel. In Berlin gibt es für jeden Künstler einen Ort.
Eines der größten Probleme ist jedoch die Flüchtigkeit. Die Menschen kommen und gehen. Viele Arbeitsverträge sind auch nur befristet. Das macht die Stadt einerseits sehr “deutsch”, denn die Schlüsselstellen sind immer von Deutschen besetzt. Andererseits macht es sie zu einer griechischen Insel, auf die im Sommer die Gäste kommen, sie betrinken sich, stellen alles mögliche an, verlieren die Kontrolle und hauen dann wieder ab.”

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Immigrants: Approach, Hardships and Remedies https://www.media4us.de/wp/2013/01/09/immigrants-approach-hardships-and-remedies/ https://www.media4us.de/wp/2013/01/09/immigrants-approach-hardships-and-remedies/#comments Wed, 09 Jan 2013 13:35:31 +0000 https://www.media4us.de/wp/?p=1075 Habib Ur Rehman hat sich mit den Anforderungen und Problemen beschäftigt, die Migranten bei ihrem Start in einem neuen Land begegnen können. Viele Risiken sind mit dem Verlassen der alten und dem Ankommen in der neuen Heimat verbunden. Dass die Gesellschaft von hohem Wettbewerbsdruck geprägt ist, macht die Sache nicht einfacher. Ein Kommentar in englischer Sprache.]]>

by Habib Ur Rehman

It is very difficult to leave one’s home, family and friends just for the sake of a better future, but it has been done in all ages and the process is still going on. On the other hand, getting settled into a strange culture and society is a big deal but those who take risks often succeed.

In most cases the first and basic hurdle faced by an immigrant in a new country is the language barrier. Even if a person holds a degree in his or her native country communicating in a foreign language still forms a huge handicap. He or she has to struggle to communicate in every-day situations like shopping, travelling, consulting a doctor, visiting an office etc.

During the past year I have met many immigrants who are, unfortunately, unable to speak the local language well despite of the fact that some have been living here for more than 10 to 15 years. This shows that learning the local language never had a high priority for them. However, a basic language course in my opinion is absolutely essential for immigrants. Interaction with local people, reading books, newspapers, magazines and watching local television channels may also help to improve the language.

Another thing or complaint that is often heard from immigrants is the lack of job opportunities. This complaint may hold weight but it should also be noted that in today’s highly competitive society a high school or even college degree is no guarantee for getting a good job. One should have to be skilled enough to meet the requirements and merit. I have observed that persons with an immigrant background tend to set simple goals which can easily be achieved. For example, their priority is to get a job as soon as possible. Immigrants seem to have little access to the higher and more competitive fields of science and technology, for example. It is an open secret that immigrants from many countries have been living in Germany for decades and all of them are being provided the same educational facilities. But unfortunately, after going through the list of Nobel Prize winners from Germany, I am unable to find a single name suggesting immigrant background from non-European countries who received this prestigious prize for decades.

In these competitive times those who lack access to certain fields may suffer in the end.

Artikelbild: © media4us / foto: Sabine Hoffmann – Beitrag aus dem Fotowettbewerb “Zeig’s uns!“

 

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Sie sind nicht die Einzigen https://www.media4us.de/wp/2012/08/07/sie-sind-nicht-die-einzigen/ https://www.media4us.de/wp/2012/08/07/sie-sind-nicht-die-einzigen/#comments Tue, 07 Aug 2012 08:51:57 +0000 https://www.media4us.de/wp/?p=705 Wie steht es um die Aus- und Weiterbildungssituation von jungen Leuten mit Migrationshintergrund? In seinem TV-Beitrag hat Özgür Ekinci die Spur aufgenommen und befragt junge Männer und Frauen nach ihren Berufsvorstellungen und -erfahrungen. Schauplatz: Gelsenkirchen im Ruhrgebiet.]]>

von Özgür Ekinci

Wie steht es um die Aus- und Weiterbildungssituation von jungen Leuten mit Migrationshintergrund? In seinem TV-Beitrag hat Özgür Ekinci die Spur aufgenommen und befragt junge Männer und Frauen nach ihren Berufsvorstellungen und -erfahrungen. Auch Ausbildungsleiter und Experten der Agentur für Arbeit kommen zu Wort und liefern interessante Einblicke in die Karrieremöglichkeiten von Nachwuchskräften mit Zuwanderungsgeschichte. Schauplatz ist Gelsenkirchen, aber die Beispiele sind repräsentativ: viele sind hochmotiviert und gehen ihren eigenen, engagierten Weg in Ausbildung und Beruf. Damit bilden sie den besten Gegenbeweis zu Sarrazins Thesen.


media

veröffentlicht in EKO.BIZ, einer Sendung des türkischen TV-Senders Show Turk

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Die Hoffnungsreisenden https://www.media4us.de/wp/2012/07/29/die-hoffnungsreisenden/ https://www.media4us.de/wp/2012/07/29/die-hoffnungsreisenden/#comments Sun, 29 Jul 2012 12:29:13 +0000 https://www.media4us.de/wp/?p=410 Moderne Menschenhändler beliefern den deutschen Markt mit Arbeitskräften aus Bulgarien, auf die drei Euro Stundenlohn warten und Schlafplätze im Kellerverschlag. Eine Reise mit Tagelöhnern, die Deutschland für das gelobte Land halten. Von Özlem Gezer]]>

Von Özlem Gezer

Moderne Menschenhändler beliefern den deutschen Markt mit Arbeitskräften aus Bulgarien, auf die drei Euro Stundenlohn warten und Schlafplätze im Kellerverschlag. Eine Reise mit Tagelöhnern, die Deutschland für das gelobte Land halten.

Bojan Hakim(*1) steht auf dem Marktplatz und nimmt Bestellungen an. “Drei Männer zwischen 20 und 35″, sagt ein Kunde, “diesmal aber kräftiger!” Hakim nickt. Dann drückt er dem Bauherrn seine Visitenkarte in die Hand. Ein VW Transporter ist darauf abgebildet, darunter steht in roten Buchstaben: “Germania Turs”.

Obst- und Gemüsehändler bieten nebenan ihre Ware feil, Trödler verkaufen Radiogeräte und Aschenbecher, es ist Wochenmarkt in Wilhelmsburg, einem Hamburger Arbeiter- und Zuwandererviertel. Die Nachfrage ist groß, nach allem, was gut und billig ist.

Es gehen noch mehr Bestellungen ein an diesem Vormittag. Hakims Angebot ist begehrt, seine Bulgaren sind auf Baustellen gefragt, im Hafen, in Gaststätten und Putzkolonnen. Immer wieder klingelt sein Handy, es melden sich Pizzabäcker aus Dänemark und Lagerleiter aus Frankfurt. Sie bestellen Menschen für 25 Euro pro Tag, steuerfrei und unversichert.

Bojan Hakim, 33, kennt sich aus. Früher, in Bulgarien, handelte er mit Vieh. Mit Schafen, mit Ziegen, mit Kühen. Sie mussten gesund sein, seine Tiere, stark und willig. Das Geschäft lief gut. Heute handelt er mit Menschen. Gesund müssen sie sein, stark und willig. Das Geschäft läuft besser.

Ein zerfleddertes Notizbuch dient Hakim als mobiles, deutsch-bulgarisches Arbeitsamt, darin notiert er die Namen seiner Arbeiter, Größe, Alter und Beruf, falls sie einen haben. Sobald sie zum Profil eines Auftraggebers passen, wird er sie nach Deutschland transportieren, den Kontakt zum Arbeitgeber herstellen und einen Schlafplatz vermitteln.

Jede Woche bringt Hakim in seinem Minibus acht Arbeiter in die Bundesrepublik, knapp 400 sind es pro Jahr, Tausende kommen auf anderen Wegen und jagen hier einem Traum nach von Wohlstand und Aufstieg.

Seit dem EU-Beitritt Bulgariens 2007 ist die Zahl der Bulgaren in Deutschland um 36 000 gestiegen, der Zuwachs lag im letzten Jahr bei über 20 Prozent, und niemand weiß, wie viele außerhalb der Statistiken hier leben, als Hilfsarbeiter für drei Euro Stundenlohn. Die meisten sprechen kein Deutsch, viele schicken ihre Kinder nicht in die Schule, sondern zur nächsten Straßenkreuzung, um Windschutzscheiben zu putzen; etliche leben versteckt in Kellerzimmern.

Die Bulgaren sind im Moment eine der größten Zuwanderergruppen in Deutschland. Das steile Wohlstandsgefälle sorgt für steten Nachschub, auch wenn Bulgaren, anders als Polen oder Ungarn, erst ab 2014 die volle europäische Freizügigkeit für Arbeitnehmer genießen.

Als EU-Bürger können sie einreisen, so oft sie wollen. Sie brauchen kein Visum und keine Aufenthaltsgenehmigung; nur wer länger als drei Monate bleibt und arbeiten will, muss die Erlaubnis der Behörden haben. Manche melden dann ein Gewerbe an und leben in der Scheinselbständigkeit, andere suchen ganz ohne Papiere als Tagelöhner Jobs, doch auf dem Schwarzmarkt macht das kaum einen Unterschied. Die Chancen aufzufliegen sind gering.

2200 Kilometer von Hamburg-Wilhelmsburg entfernt sitzen vier Männer an einem Tisch und streiten. “Ich will heute nicht über Frankfurt fahren”, sagt einer. “Ich musste letzte Woche schon bis nach Stuttgart, diese Woche bist du dran”, sagt der andere. Bojan Hakim schweigt. Die Mokkatassen vor ihm sind leer, die Aschenbecher voll, er nippt an einer Dose Bier, zieht an seiner Davidoff Gold Slim. “Weiberzigaretten”, sagt einer von ihnen. “Haben wir uns von den Nutten abgeguckt, die wir hin und wieder transportieren”, erwidert Hakim und lacht.

Das Tankstellen-Café liegt in Russe, im Norden Bulgariens, an der Grenze zu Rumänien. Die Menschenhändler nennen es ihr “bulgarisches Büro”. Sie haben das Umland unter sich aufgeteilt. Jeder fährt durch seine Dörfer, verteilt Visitenkarten und spricht junge Männer an, die starke Oberarme haben. Einmal pro Woche treffen sie sich im “Büro” und entscheiden, wer welche Städte in Deutschland beliefern soll. Dann verteilen sie die Arbeiter auf ihre Busse und kassieren. Die Fahrt nach Deutschland kostet 150 Euro pro Person.

Hakim steigt in seinen VW, Modell T5, Baujahr 2004. Acht Passagiere sitzen darin, beladen mit Schafskäse, Taschen und der Hoffnung auf ein besseres Leben.

Langsam geht es an verlassenen Schlachthöfen vorbei, an geschlossenen Lederfabriken, durch ein Land, das zu Europas ärmsten zählt. An diesem Samstagmittag scheint die Sonne über Sliwo Pole, es ist das letzte Dorf vor der Grenze. Fast jede Familie hier hat einen Ehemann, einen Bruder oder Sohn im Westen.

Die Alten sitzen vor ihren Häusern und trinken Kaffee. “Wenn die Kinder nicht in Deutschland wären, würden wir verhungern”, sagt eine alte Frau und verabschiedet sich von ihrem Sohn. Er ist der letzte Fahrgast, den Hakim an diesem Samstag einsammelt. Der junge Bulgare fährt wieder zur Arbeit, nach Hamburg. Jeden Monat schickt er seiner Familie 200 Euro. Der Western-Union-Schalter im Dorf ist ihre einzige Verbindung, hier holt seine Mutter das Geld ab und bezahlt ihre Schulden im Lebensmittelgeschäft.

Hakim startet den Motor und dreht die Boxen auf, bulgarische Volksmusik. Von einem Speicherstick mit mehr als 3000 Liedern wird die nächsten 40 Stunden ununterbrochen Musik abgespielt. “Ich kann nicht so viel Gerede ertragen”, sagt Hakim. Er kennt ja die Träume seiner Passagiere und weiß, was sie in Deutschland erwartet.

Einige in seinem Bus verlassen heute das erste Mal ihr Heimatdorf. Rushti Yazar zum Beispiel, er ist 20. Die Haare sind gegelt, das Gesicht frisch rasiert, er trägt ein lilafarbenes Shirt und sieht so aus, als stünde er vor seinem ersten Rendezvous. Yazar fährt ins Ungewisse. Keiner hat ihn bestellt. Verwandte in Frankfurt sagten, es werde sich schon etwas ergeben, er solle kommen. “In Deutschland liegt das Geld doch auf der Straße, wir müssen es nur aufsammeln”, sagt er. Der Bus fährt über die “Freundschaftsbrücke” nach Rumänien. Aus den Boxen ertönen melancholische Arabeskklänge, sie handeln von Sehnsucht und Abschied. Yazar packt süße Melonenstücke von seiner Mutter aus einem Pappkarton, reicht sie seinem Sitznachbarn Sinan und fragt, wie es nun wirklich sei bei den Deutschen.

Sinan Kemal, 27, lebt seit vier Jahren in Deutschland und kommt gerade von einem Kurzbesuch bei seiner Familie. Für die Fahrt hat er sich nicht so fein gemacht wie Yazar, er trägt T-Shirt und Jogginghose, für die Träume des Neuen hat er ein mildes Lächeln übrig. “Ich wurde auch von Hakim importiert”, sagt er. “Solche Leute wie dich fressen sie auf, du bist zu schüchtern. Deutschland ist ein Sklavenlager.”

An seine Ankunft in Hamburg kann sich Kemal gut erinnern. Auch ihn hatte keiner bestellt. Mit einer Stange Zigaretten und zehn Kilogramm Gepäck stand er in der fremden Stadt und wartete auf sein neues Leben. Das alte hatte er in Bulgarien verpfändet, sein einziger Besitz war das Hochzeitsgold seiner Ehefrau. Das hinterließ er in einem Leihhaus in Russe. In Bulgarien steht das Hochzeitsgold für die Ehre der Frau, für Kemal war es das nötige Kleingeld für den Neustart in Deutschland.

“Tagelöhner werden am Marktplatz eingesammelt”, sagte ihm die Kellnerin in einer Teestube in Wilhelmsburg. Drei Wochen lang stand er morgens dort und wartete. Dann nahm ihn ein türkischer Mann mit auf den Großmarkt. Fünf Stunden packte er Obst und Gemüse, zehn Euro waren der Lohn. Andere Jobs folgten: Kemal verpackte Telefonersatzteile, sortierte Kleiderbügel, sortierte Müll, verschnürte Zeitschriften, arbeitete auf dem Bau. Ein normaler Arbeitstag hatte 15 Stunden und brachte maximal 30 Euro. “Ich war hungrig, frustriert und enttäuscht”, sagt er.

150 Euro im Monat kostete sein Schlafplatz, eine versiffte Matratze bei einem Bekannten. In manchen Monaten schlief er im Keller einer kurdischen Familie. Kemal zieht an seiner Zigarette. Er erzählt von türkischen Lagerleitern in Wilhelmsburg, die ihre Arbeiter ohrfeigen, wenn sie nicht schnell genug packen. Er sagt, er habe sich wie ein Sklave der Türken gefühlt. “Du bist zwar EU-Bürger, aber du bist halt im falschen Land geboren.” Yazar hört zu, überlegt. Dann sagt er: “Drei Euro die Stunde sind auch gut, wenn du in Bulgarien hungern musst.”

Hakim mag Passagiere wie Kemal und Yazar nicht. Aber wenn nicht genug Bestellungen von Arbeitgebern eingehen, dann füllen Hoffnungsreisende wie sie die leeren Plätze in seinem Bus. Für Hakim sieht ein optimaler Fahrgast anders aus: 150 Euro Transport, bis zu 200 Euro Vermittlungsgebühr vom Arbeitgeber, 150 Euro vom Vermieter. Hakim ist Reiseunternehmen, Jobcenter und Maklerbüro zugleich. “Schlechte Tour”, sagt er und schlägt mit der flachen Hand auf das Lenkrad.

Als 20-Jähriger war er 1998 nach Griechenland gegangen. Der Viehhandel zu Hause reichte zwar zum Leben, aber Hakim träumte vom großen Geld. Er pflückte zwei Jahre lang Erdbeeren auf den Feldern, sparte umgerechnet 1400 Mark. Er kaufte sich einen Peugeot 405, seinen Führerschein zahlte er mit einer Kuh. Mit 22 organisierte er die ersten Menschentransporte nach Griechenland. Die Geschäfte liefen gut. Nach drei Jahren kaufte Hakim seinen ersten Kleinbus.

“Griechenland war eine Goldgrube”, sagt er. In guten Monaten verdiente er bis zu 10 000 Euro mit seinen Transporten. Dann kam die Krise in Griechenland, und Deutschland wurde zum gelobten Land der Bulgaren.

Auf einer Landstraße kurz vor Bukarest ist Stau. Verkäufer drängeln sich an die Fenster und halten ihre Waren in den Wagen. Hakim feilscht. Er kauft zwölf Paar Strümpfe für drei Euro, Kristallgläser für seine Mutter, gefälschte Nike-Schuhe für seinen Sohn. “Drecksvolk”, murmelt er und drängelt sich auf den Seitenstreifen, vorbei an den Lkw, “alles Zigeuner und Diebe.” Die Rumänen seien schuld daran, dass tüchtige Osteuropäer wie seine Bulgaren einen schlechten Ruf in Deutschland hätten.

Kurz vor der Grenze zu Ungarn kontrolliert Hakim sein Handschuhfach und greift zu einem gefälschten Militärausweis, der ihn als Offizier der bulgarischen Armee identifiziert. “Seit acht Jahren erleichtert dieser Ausweis mein Leben”, sagt Hakim. Er fährt an die Seite. Der Grenzbeamte sagt, er wolle jeden Koffer kontrollieren. “Er will nur Geld, das hungrige Schwein”, flüstert Hakim und hält seinen Ausweis aus dem Fenster. Der Beamte starrt das Papier an und wartet. Hakim schreit in den Bus: “Wer hat fünf Euro? Her damit!” Yazar holt einen Schein aus seiner Hosentasche und reicht ihn nach vorn. Hakim gibt dem Beamten das Geld. “Hier, kannst Suppe trinken”, sagt er. Der Beamte reicht ihm den Ausweis zurück. Die Reise geht weiter.

Es ist mitten in der Nacht, Hakims Handy klingelt. Es ist ein türkischer Raststättenbetreiber aus Dänemark. “Du willst eine Frau? Warum? Muss sie hübsch sein? Nein? Okay. Eine Pizzabäckerin habe ich noch im Dorf. Bringe ich dir nächsten Dienstag mit, 450 Euro. Cash. Ciao.” Während er mit Tempo 160 auf der Autobahn fährt, tippt er eine Erinnerung in seinen Handy-Kalender. “Dienstag. Frau. Dorf. Dänemark.” Dann dreht er die Musik lauter. Hakim klatscht in die Hände. Er ist zufrieden. Der Bus für nächste Woche ist schon zur Hälfte ausgebucht. Drei Bauarbeiter nach Hamburg, eine Frau nach Dänemark. Die Männer bringen 900 Euro, Transport und Vermittlung, die Frau 450. Das ist jetzt schon besser als die heutige Tour.

Hakim braucht selten Schlaf. Wenn seine Augen brennen und er die Fahrstreifen kaum noch erkennt, fährt er auf einen Rastplatz, stellt den Motor aus, bindet sich einen grauen Schal über die Augen, zieht seine Schuhe aus und legt die Füße hoch. Innerhalb weniger Minuten beginnt er zu schnarchen. In einem normalen Bett kann er schon seit langem nicht mehr gut schlafen. “Mein Körper ruht nur im gekrümmten Zustand”, sagt er später.

Kurz vor der deutschen Grenze holt Hakim drei Digitalkameras und 1600 Euro aus dem Handschuhfach. “Wir sind Touristen und fahren auf eine Hochzeit”, ruft er in den Bus hinein. “Kapiert?” Alle nicken. Jeder bekommt 200 Euro in die Tasche, die Digitalkameras werden verteilt. Nach fünf Minuten wird aus dem silbernen BMW vor ihnen eine rote Kelle gewinkt. Der Bus wird auf einen Parkplatz gelotst. Zivilfahnder kommen ans Fenster und fragen nach dem Reisegrund. “Turist, Turist, Germania Tur, Familywedding in Germania”, sagt Hakim. Die Beamten nehmen die Pässe. Nach zehn Minuten geht die Fahrt weiter. “Sie könnten uns sowieso nicht daran hindern, durch Europa zu reisen”, sagt Hakim. “Wir sind EU-Bürger. Aber die Hochzeitsnummer macht es viel stressfreier.”

Hakims erster Halt in Deutschland ist Dortmund. Dort holt er Döner-Gewürze, die er an bulgarische Imbissbesitzer in Russe verkaufen wird, wie jede Woche. Um kurz vor 21 Uhr erreicht er Frankfurt am Main, er ist jetzt seit 28 Stunden unterwegs. Rushti Yazar sieht zum ersten Mal die Frankfurter Skyline, hell erleuchtet, die Türme der Banken, Versicherungen, das große Geld. Er ist begeistert, das höchste Gebäude in seinem Dorf ist die Moschee mit dem Minarett. Aber wo ist der Treffpunkt mit seinem Verwandten? Plötzlich sieht er an einer Straßenecke einen Jungen auf einem Fahrrad. “Stopp, stopp”, schreit Yazar. Der Junge ist sein Cousin. Hakim bremst und kassiert die 150 Euro. “Wenn du zurückwillst, dann ruf an. Du bleibst sowieso nicht lange, Kleiner”, sagt Hakim.

200 Kilometer weiter endet die Reise für Kemal. Vor einigen Wochen ist er zu seinen Verwandten nach Ludwigsburg gezogen. Hier lebt er jetzt mit sieben von ihnen auf 60 Quadratmetern, es ist ein Aufstieg gegenüber Hamburg-Wilhelmsburg. Auch in Ludwigsburg wird Kemal auf dem Bau arbeiten. “Die Deutschen zahlen anständiger, hier leben nicht so viele Türken”, sagt er.

Der nächste Halt ist Berlin-Neukölln, dann folgt Schwerin und schließlich Hamburg. Die letzten Passagiere steigen aus. Hakim parkt in einer Sackgasse und verschwindet in einem Altbau, wo er mit neun Verwandten in einer Dreizimmerwohnung lebt. Der eigentliche Mieter, ein Hartz-IV-Empfänger, ist zu seiner Mutter gezogen. 100 Euro kassiert er pro Untermieter, 1000 Euro im Monat für eine vom Amt bezahlte Wohnung.

Hakim findet die Wohnung nicht günstig, aber praktisch. Er will nichts mit Deutschland zu tun haben, nicht die Sprache lernen, nicht offiziell existieren in diesem Land.

Über die Jahre hat sich Bojan Hakim eine Struktur aufgebaut, um den deutschen Markt zu beliefern. Den Markt der Arbeitgeber, die lieber drei statt acht Euro zahlen, und den Markt der Hauseigentümer, die sich etwas dazuverdienen wollen. Ein Kellerschlafplatz in Wilhelmsburg kostet 150 bis 200 Euro. Polizei und Steuerfahndung merken nur selten, dass ein Kellerflur mit sechs Räumen einem listigen Vermieter bis zu 4000 Euro steuerfreies Zusatzeinkommen im Monat bescheren kann.

Es gibt in Hamburg ein Gesetz, das jeder Person zehn Quadratmeter Wohnraum einräumt. Zehn Quadratmeter pro Person? Seyit Erfan(*2) lacht. Vor elf Wochen hat ihn Hakim nach Wilhelmsburg transportiert und ihm einen Job und einen Schlafplatz vermittelt. Jetzt lebt er in einem Kellerabteil eines verwitterten Backsteinbaus, es gibt eine Couchgarnitur und zwei durchgelegene Matratzen, die Wände sind keine zwei Meter hoch, in der Luft hängt der Geruch von Zigarettenqualm und Schweiß.

Vier bulgarische Tagelöhner wohnen hier auf knapp acht Quadratmetern. Auf dem Boden stehen ein Gaskocher, Thunfischkonserven und Lebensmittel in Lidl-Tüten. Am Eingang nagen Ratten an Müllresten. Sechs solcher Räume reihen sich auf dem Kellerflur. In manchen der Abteile wohnen Familien mit Kindern. Es riecht nach feuchter Kleidung, Babywindeln und Kanalisation.

150 Euro zahlt Erfan monatlich für seinen Schlafplatz. Ein Tag Verspätung kostet ihn zehn Euro extra. Die Logistikfirma, an die ihn Hakim vermittelte, beschäftigte ihn nur drei Wochen. Erfan, 46, war dem Lagerleiter zu alt, nicht schnell und kräftig genug. Seitdem steigt er jeden Morgen ziellos aus dem Keller, stellt sich auf den Marktplatz und wartet.

Wenn er Glück hat, kann er für zehn Euro drei Stunden lang eine Wohnung entmüllen. “Wir behandeln im Dorf unsere Hunde besser als die Leute hier die Bulgaren”, sagt er und geht über den Platz in ein Internetcafé auf der Veringstraße. In Sliwo Pole sitzt seine Frau vor dem Computer. “Soll ich nicht zurückkommen?”, fragt Erfan immer wieder mit leiser Stimme. “Auf gar keinen Fall, hier bist du arbeitslos”, antwortet seine Frau. “Wann holst du uns endlich nach Deutschland?”, fragt sie dann, wie jeden Tag.

Erfan könnte erzählen, dass heute Morgen die Polizei in den Kellerräumen war, dass sein neuer Schlafplatz ein Dachgeschoss ohne Toilette, ohne Dusche, ohne Küche werden wird. Er könnte erzählen, dass er dann drei Straßen weiter laufen muss, um sein Gesicht zu waschen oder die Toilette bei seinen Verwandten zu nutzen. Er könnte erzählen, dass die Ratten an ihren Essensreserven nagen, wenn sie über Nacht das Fenster versehentlich offen lassen. Er könnte auch erzählen, dass er noch nicht einmal seine Miete beglichen hat und Hakim noch 150 Euro für die Hinfahrt schuldet. Aber er schweigt.

Auf dem Bildschirm sieht er seinen neugeborenen Enkel, das erste Mal. Erfan fließen Tränen über seine hohen Wangenknochen. Er hat Sehnsucht. Nach seinem Dorf. Nach dem Geruch der frischen Tomaten in seinem Garten. Nach seiner Frau. Erfan verabschiedet sich, zahlt zwei Euro für das kurze Familientreffen und geht zurück in seinen Keller.

Seyit Erfan sitzt regungslos auf seiner Matratze, zündet sich eine Zigarette an. Da kommt Hakim in den Kellerflur. Erfan bittet, ihn wieder mitzunehmen. Nach Hause, nach Sliwo Pole. “Bezahl erst mal deine Schulden.” Erfan nickt. “Ich bin doch kein bulgarischer Schutzengel”, sagt Hakim. Dann verlässt er den Keller. Bojan Hakim geht über den Hof und schließt die Metallpforte zu.

(*1) Name von der Redaktion geändert. (*2) Name von der Redaktion geändert.

erschienen in: SPIEGEL 16/2011, S. 34 ff.

 

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