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Nov 162012
 

Von Candan Bayram-Neumann

In den letzten Tagen habe ich oft über den Begriff ‚Migrationshintergrund’ gesprochen. Und nicht, wie man vielleicht erwarten würde, mit Menschen, auf die dieser Begriff vermeintlich zutrifft, sondern mit Deutschen ohne offenkundigen Migrationshintergrund. Der gleichlautende Tenor war, dass dieser Begriff “überhaupt nicht geht”. Oft begleitet von der Frage, was er überhaupt aussagen soll? Eine interessante Frage, dachte ich, und machte mich an die Recherche. An deren Ende wurde mir klar, dass ich selbst immer mit einem Begriff hantiert hatte, den ich im Kern nicht verstehe.

© media4us / Beitrag aus dem Internationalen Fotowettbewerb

Aber als Kind türkischer Einwanderer musste dieser Begriff wohl auf mich passen, natürlich, denn ich bin keine Deutsche mit deutsch-deutschem Hintergrund. Ich habe mit der allgemeinen und medialen Präsenz dieses Begriffs, der oft mit Begriffen wie ‚Migranten’ oder ‚Einwanderern’ oder diversen Bindestrich-Bezeichnungen durcheinander geworfen wird, angenommen, dass dieser auf mich und viele andere zutrifft. Heute empfinde ich das als Etikett, das meine Identität für andere definieren soll. Denn darum geht es dabei : um eine Definition von außen. Mich selbst hat die Frage nach meiner Zugehörigkeit oder meiner Identität eigentlich nie beschäftigt. Mit steigender Präsenz in den Medien wurde mir jedoch klar, dass ich mich dem nicht entziehen konnte. ‚Man’ hatte nun institutionell, gesellschaftlich und medial beschlossen, was ich bin, zu welcher Gruppe ich gehöre. “Widerstand ist zwecklos” kam mir á la Star Trek in den Sinn.

Aber mein eigenes Selbstverständnis und das vieler anderer Menschen, die ich kenne, war immer und ist, dass ich als genau die Person, die ich bin, mit meiner Bi-Kulturalität und meinen zwei Muttersprachen, natürlicherweise zu dieser Gesellschaft gehöre, in der ich geboren und aufgewachsen bin, studiert und geheiratet habe, lebe und arbeite. Es gibt neben all den Menschen, die sich damit beschäftigen, also auch viele, die sich nicht die Frage stellen, wohin sie gehören und sich nicht über ihren ‚Migrationshintergrund’ definieren. Die Identitätsfindung ist ein sehr persönlicher Prozess. Er wird jedoch oft von außen beeinflusst, in diesem Fall z. B. indem Kriterien für soziologische Forschungen oder statistische Zwecke festgelegt werden, die sagen, was uns zu dem macht, was wir sind.

Das statistische Bundesamt definiert Menschen mit Migrationshintergrund u. a. dadurch, dass diese Personen nach 1949 nach Deutschland eingewandert sind oder dass, gerade in Bezug auf die Nachkommen dieser Migranten, der Geburtsort mindestens eines Elternteils außerhalb Deutschlands liegt. Und genau hier liegt meiner Meinung nach der große Fehler. Ich frage mich, wieso mich ausschließlich der Geburtsort meiner Eltern definiert. Die Heimat meiner Eltern mag nicht die gleiche sein wie meine. Aber warum gehen Politik und Gesellschaft überhaupt davon aus, das müsste immer so sein? Und wundern sich dann, dass es bi-kulturelle Menschen gibt, die hier leben, aberDeutschland nicht als ihre Heimat bezeichnen.

Sollten wir uns als Gesellschaft nicht fragen, ob die öffentlichen Diskussionen darüber, dass es Deutsche auf der einen Seite und dann jene “Anderen” gibt, die einen Migrationshintergrund haben und damit automatisch keine “Deutschen” sind, auch dazu führen könnte, dass wir einen Teil unserer Gesellschaft ausschließen und dazu bringen, sich der Kultur ihrer Eltern eher zugehörig zu fühlen? In einer Gesellschaft, in der Vielfalt in allen Bereichen vorhanden und erwünscht ist, müssen die Diskussionsgrundlage und die öffentliche Wahrnehmung geändert werden, denn wir sind nicht alle gleich. Dass wir noch immer diskutieren, woher ein Mensch oder seine Eltern kommen oder die Frage nach den Wurzeln so stellen, dass damit eher die Nicht-Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft ausgedrückt wird, haben wir noch einen langen Weg vor uns. Erst wenn wir an den Punkt kommen, an dem die kulturelle Vielfalt eines Mitmenschen seinen Platz in unserer Gesellschaft nicht in Frage stellt, haben wir es geschafft. Dann haben wir erreicht, was die europäischen Staaten seit langem auf EU-Ebene versuchen und die Globalisierung mit sich bringt: dass wir Europäer, dass wir Weltbürger sind, die überall auf der Welt zu Hause sein können mit einer Identität, die kein Etikett braucht.

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